1. Mai

Die Anfänge des internationalen Maifeiertags der Arbeiterbewegung sind nicht eindeutig auszumachen. Bereits vor dem Beschluss der Zweiten Internationale am 14. Juli 1889 in Paris, den 1. Mai in allen Staaten als Arbeiterfesttag zu begehen, war er in den Feier- und Kampfritualen der nationalen Arbeiterorganisationen verankert. Befeuert wurde diese Idee von den Ereignissen des Jahres 1886 auf der anderen Seite des Atlantiks. In Chicago hatten Arbeiter am 1. Mai eine Massendemonstration für den Achtstundentag organisiert, die in den darauffolgenden Tagen eine Welle der Gewalt, samt Aussperrungen, Bombenattentat, Hinrichtungen der Arbeiterführer und anderen Repressionen, nach sich zog. Die ersten Maidemonstrationen, in der Regel in Gestalt von Arbeitsniederlegungen und Mai-„Spaziergängen“, fanden 1890 in Europa unter ähnlich umkämpften Bedingungen statt. Die Streikbewegungen erreichten zu dieser Zeit ihren Höhepunkt. Unternehmer reagierten auf Arbeitsniederlegungen mit Aussperrungen. In den europäischen Großstädten waren Militär und Polizei mobilisiert.

Der Doppelcharakter des Maifeiertags als Kampf- und Festtag, als Abbildung der Situation der Proletarier und als Manifestation der Erwartung an eine sozialistische Zukunft – war zweifellos der Grund für den beispiellosen Siegeszug des internationalen Festtags, auch wenn die zentrale Forderung des Achtstundentags nur zögerlich und national sehr unterschiedlich verwirklicht wurde. Die hohe symbolische Verdichtung zeigt sich in der Gestaltung des Tags und in der ihm eigenen Ikonographie, die in der frühen Maipropaganda vor allem von einer Frühlings- und Aufbruchsmetaphorik geprägt war. Zu Beginn der Weimarer Republik wurde nicht nur der 1. Mai zum Feiertag erklärt, sondern auch die gesetzliche Arbeitszeit reduziert. In den folgenden Jahren führte die Spaltung der Arbeiterbewegung in eine sozialdemokratische und eine kommunistische Anhängerschaft besonders in Deutschland zu einer Verdoppelung der Symbolik. Diese Erweiterung des Repertoires ging einher mit der Schwächung der politischen Wirkungskraft, wenngleich der utopische Gehalt weiter aufgefächert wurde. Einte noch beide Richtungen die Vorstellung des „neuen Menschen“, so wurde dieser in den Massenritualen in sehr unterschiedlicher Weise inszeniert. Deutlich wird hier aber auch, dass der 1. Mai vorzugsweise den männlichen Arbeiter zelebrierte. Frauen tauchten im Repertoire als Frühlingsgöttinnen oder als „Menschenmütter“ auf, nicht als gleichberechtigte Kämpferinnen. Das galt bis weit in die 1950er Jahre hinein.

Völlig pervertiert wurde die Maifeierutopie im Nationalsozialismus auf der einen und im Stalinismus auf der anderen Seite. Nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs verlor die Maifeier im Westen ihre Utopie: Statt des „neuen Menschen“ traten die Bemühungen um konkrete Verbesserungen der Lage der Arbeitnehmer in den Vordergrund. Im Plakat des DGB „Samstags gehört Vati mir“ geronn die Utopie der freien Zeit zu einem sinnfälligen familienpolitischen Ziel der Gewerkschaftsbewegung während der „Ära Adenauer“. In der DDR, wie in allen Staaten des sowjetischen Herrschaftsbereichs, wurde die Maifeier zu einem Selbstbestätigungsritual des Regimes.

Auch wenn in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts der 1. Mai vielerlei Adaptionen unterlag – von der Studentenbewegung bis hin zur feministischen Walpurgisnacht, vom Tanz in den Mai im Zelt des DGB, der SPD oder DKP zu stark formalisierten Maireden auf Plätzen – so ist ein massiver Bedeutungsverlust dieses Feiertags zu konstatieren. Ob der 1. Mai in welcher Form und an welchem Ort der globalisierten Welt auch immer, wiederum symbolisch aufgeladen wird, und in welcher Weise an den utopischen Gehalt eines Völkerfrühlings angeknüpft werden kann, ist heute nicht zu sagen.