Das Godesberger Programm

Mit dem Godesberger Programm entwickelte sich die SPD programmatisch von der Klassenpartei zur Volkspartei. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist das Godesberger Programm sowohl als programmatischer Neuanfang zu verstehen als auch als Vorbereitung zur SPD-Regierungsbeteiligung und zur Kanzlerschaft Willy Brandts in den 1960er Jahren. Es wurde auf dem außerordentlichen Parteitag am 15. November 1959 in der Bad Godesberger Stadthalle mit 324 gegen 16 Stimmen beschlossen.

Die bitteren Erfahrungen aus der Nazizeit, dem Zweiten Weltkrieg und der Neuanfang nach dem Krieg waren bis 1959 nicht programmatisch verarbeitet worden – unter anderem fehlte im SPD-Grundsatzprogramm eine klare Abgrenzung zum DDR-Sozialismus. Die Bundestagswahlen von 1953 und 1957, bei der die SPD derbe Niederlagen erlebte, machten ebenfalls die Notwendigkeit einer inhaltlichen Erneuerung deutlich. Doch es gab noch mehr gute Gründe für ein neues Programm.

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"Ich gehöre zu den Gebrannten." Herbert Wehners berühmte Rede, um den Parteitag von dem neuen Grundsatzprogramm zu überzeugen. (0:40)
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Seit ihren Anfängen hielt die SPD ihre mittel- und langfristigen Ziele in Grundsatzprogrammen fest. Die SPD-Grundsatzprogramme waren geprägt von einem Spannungsverhältnis zwischen theoretischem Anspruch und praktischen Zielen. Einerseits bestand das theoretische Fundament aus marxistischen Revolutionsbestrebungen; andererseits wurden aber praktische Forderungen aufgestellt, um sich im bestehenden System zu bewähren und die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zu verbessern. Der politische Alltag forderte die Reformierung und nicht die Revolutionierung des bestehenden Systems. Mit dem Godesberger Programm von 1959 wurde dieser Graben zwischen Theorie und Praxis überwunden.

Dabei wurden mehrere Punkte gestrichen, die bis dahin fester Bestandteil sozialdemokratischer Programmatik waren. Zum ersten Mal wurden die Kirchen und Religionsgemeinschaften anerkannt und mit ihren gesellschaftlichen Aufgaben respektiert. Bis dahin war die marxistische Religionskritik und insbesondere die Kritik am Einfluss der Kirchen im Bildungswesen Teil der SPD-Grundsatzprogramme.

Insgesamt wurde der Marxismus aus der SPD-Programmatik getilgt. Dies war in der SPD besonders umstritten, vor allem in Verbindung mir der Einführung einer neuen Wirtschaft- und Sozialformel: „Wettbewerb soweit wie möglich – Planung soweit wie nötig.“ Die Akzeptanz des kapitalistischen Systems und des Konkurrenzprinzips führte zu einer Systemdebatte zwischen Traditionalisten und Reformern. Grundsätzlich wurde aber am Godesberger Programm festgehalten, das bis heute eine historische Grenzmarke zum Marxismus bildet. Im Berliner Programm von 1989 wurde nur eine leichte Relativierung eingeführt, indem man die historische Bedeutung des Marxismus für die SPD und die deutsche Arbeiterbewegung erwähnte. Auch das aktuelle Hamburger Programm von 2007 wurde in der Tradition des Godesberger Programms verfasst und untermauert das Selbstverständnis der SPD als „linke Volkspartei“.