Das Ostbüro der SPD

In der Zeit des Kalten Kriegs existierte kaum eine vergleichbare westdeutsche Institution, die so geheimnisvoll, schlagkräftig und propagandaträchtig zugleich erschien wie das Ostbüro der SPD. Immer wieder wurde es zur Zielscheibe von Propagandaschlachten zwischen West und Ost. Dabei spielten bei seiner Gründung weniger nachrichtendienstliche als humanitäre Motive eine entscheidende Rolle: Unmittelbar nach der zwangsweisen Verschmelzung von SPD und KPD in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) im April 1946 galten die im Westteil Berlins und in Hannover gegründeten Einrichtungen der SPD („Ostsekretariat“ beziehungsweise „Betreuungsstelle Ost“) als Auffangstellen für geflüchtete Sozialdemokraten aus dem Osten. Erst nach und nach entwickelten sich diese beiden Institutionen des SPD-Vorstands in Hannover und des Landesverbands Berlin zu dem „Mehrzweckunternehmen“ Ostbüro.

Ausgehend von dem Anspruch, den gesamtdeutschen Zusammenhang der Sozialdemokratie zu bewahren und die Wiederherstellung der Ost-SPD vorzubereiten, traten weitere Arbeitsfelder in den Vordergrund: So die Kontaktpflege zu den in der SBZ verbliebenen Sozialdemokraten mit und ohne SED-Parteibuch, die konspirative Arbeit mit Vertrauensleuten in diesem Spektrum, um Informationen aus der ostdeutschen Besatzungszone zu erlangen und die dortige Widerstandstätigkeit gegen die aufkommende SED-Diktatur zu unterstützen, sowie die Anbahnung einer Gegenöffentlichkeit in der SBZ. Als sich ab 1948 die Verhaftungen von Vertrauensleuten häuften, kam auch noch die Betreuung von deren Angehörigen hinzu.

Spätestens 1948/49 geriet das Ostbüro durch eigene teilweise unprofessionelle Arbeit und dadurch mitverursachte Massenverhaftungen in der SBZ in eine tiefe Krise. Hunderte verhaftete und meist von Sowjetischen Militärtribunalen verurteilte Vertrauensleute (wie Arno Wend und Arno Haufe) rissen kaum mehr abzudichtende Löcher in das vordem breit gewebte Oppositionsnetz. Insofern zielte die SED-Propaganda auch später noch auf einen deutlich überhöhten Gegner. Wohl um Schwächen und Fehlentwicklungen in der SBZ/DDR zu kaschieren, wurden nach dem West-SPD-Vorsitzenden benannten „Schumacher-Agenten“ für alles Mögliche verantwortlich gemacht – sei es für Versorgungsengpässe infolge angeblicher „Sabotage“-Aktionen oder für die Herbeiführung des „faschistischen Putsches“ vom 17. Juni 1953. Auch wenn sich Vertrauensleute des Ostbüros wie Siegfried Berger führend an dem Volksaufstand beteiligten, konnte auch in diesem Fall von keiner Fremdsteuerung gesprochen werden. Das hielt die SED-Führung jedoch nicht davon ab, das Ostbüro und dessen langjährigen Leiter Stephan Thomas immer wieder öffentlich und geheimdienstlich ins Visier zu nehmen. In Zeitungen, Broschüren und Propagandafilmen machte sie zudem gegen Flugblatt bestückte Ballonaktionen aus dem Westen mobil. Als nach dem Mauerbau von 1961 die Informationen aus dem Osten immer spärlicher flossen und sich die Form des Kalten Kriegs veränderte, hielt nunmehr auch die SPD das Ostbüro für verzichtbar: 1966 in ein „Referat für gesamtdeutsche Fragen“ umgewidmet, wurde es unter seinem neuen Chef Helmut Bärwald 1971 endgültig aufgelöst.