Das Zeltlager

Das Zeltlager steht für die identitätsstiftende Bindungskraft, die sozialistische Kinder- und Jugendorganisationen der Weimarer Zeit entfalteten, hauptsächlich die 1922 gegründete Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) und der ein Jahr später folgende Verband „Kinderfreunde Deutschlands“. In der Bundesrepublik übernahm die Sozialistische Jugend Deutschlands (SJD), auch bekannt als „Die Falken“, die Tradition der Zeltlagerkultur.

Diese Bindungskraft lässt sich an verschiedenen Beispielen zeigen. So erzählt eine oft kolportierte Anekdote, dass das Präsidium des SPD-Parteitags 1946 den Delegierten bekannt gegeben habe, dass für den Abend Gelegenheit zu einem Treffen ehemaliger SAJ-Angehöriger bestünde. Um Zeit zu sparen, sollten sich die daran Interessierten im Vorraum in eine dort bereitliegende Liste eintragen. Da daraufhin zu viele Delegierte nach draußen strebten, hätten die Verhandlungen abgebrochen werden müssen.

Videogalerie (1 Video)

Auch Revival-Veranstaltungen, wie zum Beispiel ein Treffen 1979 zur Erinnerung an den Zweiten Internationalen Arbeiterjugendtag vor 50 Jahren in Wien, verdeutlichen, dass viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an dem in den Kinder- und Jugendorganisationen Erlebtem hängen. Zeltlager nahmen und nehmen im Kontext der Arbeiterbewegung eine ganz besondere Rolle ein. Sie waren Höhepunkt der Jahresarbeit in den Kinder- und Jugendgruppen. Die dabei gelebte Gemeinschaft wurde in der Zeltgruppe fortgeführt und gleichzeitig in größere Gemeinschaften eingebettet: Mehrere Zelte organisierten sich zu Dörfern, diese wiederum bildeten das Zeltlager. Dorfräte und Zeltlagerparlamente boten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, durch demokratische Verfahren ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse einzubringen, und machten so Gemeinschaft erlebbar. Damit war ein erster Schritt getan, um die auf Gefühlsbindungen beruhende Gruppe der Kinder und Jugendlichen untereinander in die größere Gemeinschaft der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung aufzunehmen. Die in den Zeltlagern geübten Praktiken der Selbstverwaltung, aber auch die Anforderungen an die Selbstorganisation der Kinder und Jugendlichen dienten der Verwirklichung einer Solidargemeinschaft, die weit über die Zeltlager hinaus bestehen blieb.

Letztlich zielte sie auf die Verwirklichung einer solidarischen Gesellschaft, in der schon Kinder und Jugendliche in den kleinen Bereichen des Zeltlagers lernten, Verantwortung zu übernehmen und ihre Interessen demokratisch und mit Rücksicht auf die anderen Mitglieder der Gemeinschaft zu verwirklichen. Hier wurden also politische Ziele und Verhaltensweisen erlernt, die grundlegend für sozialdemokratische Politik waren und sind. Die gemeinsamen Zeltlager mit Genossinnen und Genossen aus anderen Ländern stellten zudem die kleine, eigene Gruppe in den Zusammenhang der internationalen Arbeiterbewegung. Die erlernten und eingeübten demokratischen Regeln wurden so auch zum Vorbild einer friedlichen und solidarischen internationalen Gemeinschaft.