Die Parteischule

„Wissen ist Macht, Macht ist Wissen“. Das war der Kerngedanke einer Rede Wilhelm Liebknechts vor dem Dresdener Arbeitsverein 1872. Dieser Gedanke war typisch für das Bildungsverständnis der deutschen Sozialdemokratie im 19. Jahrhundert. Die alten Eliten in Wirtschaft, Wissenschaft, Justiz, Militär und Verwaltung setzten ihr Wissen als Herrschaftsinstrument im Kampf gegen die aufstrebende Sozialdemokratie ein, um ihre eigene Macht zu erhalten.

Für die Arbeiterinnen und Arbeiter war es daher klar, dass sie eigene Bildungseinrichtungen schaffen mussten, wenn sie eine echte Gegenmacht zu den etablierten Interessen bilden wollten. So überrascht es nicht, dass die Anfänge der deutschen Sozialdemokratie eng verknüpft sind mit zahlreichen Arbeiterbildungsvereinen. Eigene Broschüren, eigene Zeitungen oder auch von Ort zu Ort reisende Wanderredner waren weitere Mittel, mit denen die eigenen Anhänger mit Informationen versorgt und eine Gegenöffentlichkeit geschaffen werden sollte.

1906 wurde diesem Mosaik ein weiterer Baustein hinzugefügt: Der SPD-Vorsitzende August Bebel eröffnete die zentrale Parteischule der SPD in Berlin. Hier wurde hauptamtlichen und bereits erfahrenen Sozialdemokraten Wissen für den „Befreiungskampf der Arbeiter“ vermittelt. In halbjährigen Kursen sollten jeweils etwa 30 Parteischüler vertiefte Kenntnisse über den wissenschaftlichen Sozialismus erwerben und für ihre tägliche politische Arbeit anwenden lernen. Über die reine Wissensvermittlung hinaus wurden auch Methoden gelehrt, die zu einem weiteren Selbststudium befähigten.

Der Stundenplan war anspruchsvoll und zeitintensiv, so dass neben dem Besuch der Parteischule keine Berufstätigkeit mehr ausgeübt werden konnte. Daher übernahm die SPD die Kosten für den Unterhalt der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und derer Familien.

Unterrichtet wurden die Schüler von zum Teil prominenten Lehrerinnen und Lehrern, darunter Rudolf Hilferding und Rosa Luxemburg, die offenbar bei vielen einen bleibenden Eindruck hinterließ, wie Wilhelm Kaisen noch 50 Jahre später in seinen Lebenserinnerungen hervorhob.

Die Zahl der prominenten Absolventen ist groß: Fritz Tarnow, Jahrgang 1908/09 der Parteischule, arbeitete als Mitglied des Parlamentarischen Rats das Grundgesetz mit aus; Wilhelm Pieck avancierte zum ersten Präsidenten der DDR; der bereits erwähnte Wilhelm Kaisen, Parteischüler 1913/14, wurde zunächst Senator, dann Bürgermeister in Bremen und war zudem Mitglied im Bundesvorstand der SPD.

Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs wurde der Betrieb der Schule eingestellt und erst 1986 von Willy Brandt und Peter Glotz wiedereröffnet. Heute ist sie im Willy-Brandt-Haus untergebracht und gehört zur vielfältigen Bildungslandschaft der Sozialdemokratie. Im „Netzwerk Politische Bildung“ sind über 30 Bildungswerke und Bildungseinrichtungen zusammengeschlossen, die sich den Grundwerten der Sozialen Demokratie verbunden fühlen. In der Friedrich-Ebert-Stiftung beschäftigen sich verschiedene Qualifizierungsangebote mit den Grundlagen und der Politik der Sozialen Demokratie.