Das SPD/SED-Grundsatzpapier
Das Grundsatzpapier „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ wurde am 27. August 1987 der Öffentlichkeit in West und Ost vorgestellt. Seit 1983/84 hatten sich Mitglieder der Grundwertekommission der SPD und der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED zum Gedankenaustausch getroffen. Hierbei war das Vorhaben entstanden, die Diskussionspunkte in einem Dokument niederzuschreiben, das später auch „Streitpapier“ genannt wurde. Hauptinhalte waren die Friedenssicherung im Zeitalter der atomaren Bedrohung und die politische Streitkultur zwischen Ost und West.
SPD und SED verfolgten mit der Veröffentlichung des Papiers unterschiedliche Ziele. Fand sich die West-CDU erst mit dem Deutschland-Besuch von SED-Chef Erich Honecker im September 1987 in Bonn stillschweigend mit der DDR als eigenständigem Staat ab, so verfolgte die SPD schon seit den späten 1960er Jahren eine „Politik der kleinen Schritte“ deutsch-deutscher Verständigung und war frühzeitig an einer Normalisierung der Beziehungen beider deutscher Staaten interessiert gewesen.
Die Veröffentlichung des SPD/SED-Grundsatzpapiers ist im Zusammenhang mit dem damals anstehenden Besuch Honeckers in Bonn zu verstehen. Die DDR-Regierung wollte durch dieses Papier ihre politische Seriosität demonstrieren, und beharrte vor allem auf den Passus der Nichteinmischung in die eigenen inneren Angelegenheiten. Die SPD wiederum brachte freiheitlich-liberale Passagen ein, um die SED-Führung weiter auf den Kurs der KSZE-Schlussakte von Helsinki zu bringen. Denn auch mehr als zehn Jahre nach Unterzeichnung dieses international wichtigen Dokuments klaffte in der DDR bei dessen Umsetzung eine gewaltige Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Das SPD/SED-Grundsatzpapier wurde im konservativen Lager der Bundesrepublik als unnötige Anbiederung der SPD an die SED gewertet, als ein Ignorieren der realen Verhältnisse in der DDR-Diktatur – auch innerhalb der SPD war es nicht unumstritten.
Das Grundsatzpapier ist aber auch vor dem Hintergrund der, mit dem Amtsantritt Gorbatschows in der UdSSR einsetzenden Reformprozesse zu betrachten. Dies erleichterte der Bundesrepublik und der DDR die Betonung von Gemeinsamkeiten sowie eine Abstimmung auf den kleinsten friedenspolitischen Nenner. Außerdem war die DDR-Führung nicht zuletzt aufgrund ihrer wirtschaftlichen Talfahrt an dem weiteren Ausbau der Beziehungen mit dem westdeutschen Staat interessiert.
Realistisch gesehen stellte das SPD/SED-Grundsatzpapier jedoch lediglich eine Willensbekundung dar. So war die SPD 1987 nicht in der Regierungsverantwortung, sondern befand sich in der Opposition. Die SED wiederum besaß international keinerlei Einfluss, zum Beispiel auf die atomwaffenbesitzende UdSSR, um weltpolitisch einschneidende Abrüstungsinitiativen starten zu können.
Das Grundsatzpapier muss auch als Ideengeber für die SED selbst verstanden werden. Von vielen Gorbatschow-Sympathisanten innerhalb der Partei wurde es hoffnungsvoll aufgenommen – doch auf die Tagespolitik der SED-Führung hatte es nur marginalen Einfluss.
Wie schnell das Grundsatzpapier Makulatur wurde, ist bekannt: Die 1987 formulierten Grundlagen von SPD und SED spielten bei der Annäherung von Bundesrepublik und DDR Ende 1989/Anfang 1990 keine Rolle mehr.