Helmut Schmidt
Helmut Schmidt genießt „Kultstatus“. Obwohl er sich vor mehr als zwei Jahrzehnten aus der aktiven Politik zurückgezogen hat, ist er am Beginn des neuen Jahrtausends für die Deutschen „der Lieblingspolitiker“ und eine ihrer wichtigsten Leitfiguren. In einer Umfrage vom Mai 2009 zur Glaubwürdigkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Kompetenz von deutschen Politikern kam er auf Platz eins. Zweifelsohne ist der fünfte Bundeskanzler (1974–1982) einer der prominentesten Sozialdemokraten des 20. Jahrhunderts.
Seit März 1946 ist der 1918 in Hamburg geborene Volkswirt Mitglied der SPD. Zunächst Bundesvorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), gab es als Vorsitzender des SPD-Kreises Hamburg-Nord dem Landesverband Impulse für neue Politikformen. Als Bundestagsabgeordneter sowie insbesondere als Fraktionsvorsitzender und stellvertretender Parteivorsitzender war der präzise Denker wegen seiner klaren Worte, die ihm den Spitznamen „Schmidt Schnauze“ einbrachten, ein herausragender Vertreter sozialdemokratischer Politik, der schon frühzeitig die Medien zu nutzen wusste.
Als erster Innensenator Hamburgs wurde er dank seines durchgreifenden Einsatzes bei der Flutkatastrophe vom Februar 1962 bekannt – er durchbrach komplexe Entscheidungsstrukturen, um Menschenleben zu retten. Damit begann sein Ruf als „Macher“ und Pragmatiker. Dennoch charakterisieren den Anhänger der Verantwortungsethik im Sinne Max Webers eine hohe ethische und philosophische Reflexion des eigenen Handelns und der intensive Austausch mit Philosophen und Theologen beider Konfessionen. Seine Grundwerterede von 1976 trug dazu bei, im Kontext der Auseinandersetzung um den im § 218 StGB thematisierten Schwangerschaftsabbruch den Verlust von Wählerstimmen im katholischen Milieu zu begrenzen. In der Bevölkerung wird er wegen seiner vergleichsweise einfachen Lebensweise, seiner hanseatischen Art und seiner langjährigen Ehe mit Loki Schmidt (1919–2010) sehr geschätzt. Sein Verhältnis zur Hamburger SPD war durchweg distanziert, und von großer Eigenständigkeit gekennzeichnet, unter anderem wegen seiner Finanzpolitik und der Handhabung des „Extremistenerlasses“. Öfter nutzte Schmidt Veranstaltungen der Hamburger SPD als Podium für bundespolitische Aussagen, was Diskussionen vor Ort auslöste.
Parteiinterne Irritationen löste seine Teilnahme an einer Wehrübung 1958 aus, ebenso wie seine Annäherung an die Bundeswehr. Sein Einsatz für den NATO-Doppelbeschluss und sein Weg der Friedenssicherung waren gerade bei den Jusos umstritten und wurden vom linken SPD-Flügel massiv kritisiert. Viele seiner Positionen fanden später jedoch selbst bei Kritikern und politischen Gegnern Anerkennung. Auch im Ausland genießt Schmidt große Popularität, unter anderem aufgrund seines Wirkens im 1983 gegründeten InterAction Council, dessen Ehrenvorsitzender er ist. Dieses Gremium, dem nur ehemalige Staats- und Regierungschefs angehören, widmet sich der Lösung langfristiger globaler Probleme, wie zum Beispiel der Bevölkerungsexplosion, Umweltzerstörung und Friedenssicherung. Das Ausmaß des internationalen Ansehens von Schmidt lässt sich trefflich mit den Worten Henry Kissingers formulieren: „Eine Welt ohne Helmut wäre sehr leer“.