Der Ortsverein
„§ 8 Aufbau der Partei … Die SPD gliedert sich in Ortsvereine, Unterbezirke und Bezirke. In dieser Gliederung vollzieht sich die politische Willensbildung der Partei von unten nach oben“, sagt das Organisationsstatut, die sozialdemokratische „Vereinssatzung“.
Der Ortsverein bildet die kleinste ordentliche SPD-Gliederung, die auch auf Parteitagen antragsberechtigt ist. So weit, so einfach. Zu einfach, denn: Ortsvereine heißen in Berlin Abteilungen und in Hamburg Distrikte, während sich aber Abteilung und Distrikt, außerdem Sektion oder Ortsbezirk häufig auch die unselbstständigen Untergliederungen von Ortsvereinen nennen. Ortsvereine können, müssen allerdings nicht Stadt- oder Gemeindeverbände bilden und sind so direkt oder indirekt in den Unterbezirken beziehungsweise Kreisverbänden vertreten.
Am Anfang sozialdemokratischer Organisation stand nicht der Ortsverein, sondern die „Gemeinde“ des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins. Vereinsrechtlich zählten alle beitragszahlenden Mitglieder zur ADAV-Zentrale in Leipzig, ab 1868 Berlin, und durften sich offiziell in keinen Lokal- oder Zweigvereinen politisch betätigen – die zahlreichen Gemeinden mit ihren Bevollmächtigten (als die von der Zentrale ernannten Vorsitzenden), Kassierern, Zensoren, Kontrolleuren und bloß inoffiziellen Schriftführern ‚tarnten‘ sich als Wohltätigkeits-, Geselligkeits- oder Arbeiterbildungsvereine. 1899, erst neun Jahre nach dem Auslaufen des ,Sozialistengesetzes‘, wurde das lokale und regionale Verbindungsverbot für politische Vereine so geändert, dass der Jenaer Parteitag 1905 mit dem neuen SPD-Statut und basierend auf den Reichstagswahlkreisen gleichsam die Unterbezirke beziehungsweise Kreisverbände der Partei erfinden konnte. Diese Einheiten bildeten bis zu den Wahlrechtsreformen der Weimarer Republik die Ortsvereine, während die heutigen Ortsvereine den Sektionen gleichkamen.
„Wenn da ‘nen Ortsvereinsvorsitzender war, ‘nen gestandener Sozialdemokrat, der regierte eben den Ortsverein, und da wagte auch kaum jemand zu widersprechen. Bei Wahlen hieß es immer: Schriftführer war der und der. Dann schrie alles Wiederwahl. Der Genosse Wiederwahl war wieder am Werk.“ Erfahrungen wie diese aus dem Ruhrgebiet nach dem Zweiten Weltkrieg machten viele Mitglieder und Sympathisanten auch später noch, wobei das Innenleben der Partei freilich von den Gegebenheiten vor Ort geprägt war. Dass ein aus ‚Malochern‘ bestehender Vorstand seinen Dortmunder Ortsverein anders führte als einer in Hamburg, der sich aus ‚Pfeffersäcken‘, Rechtsanwälten und Studenten zusammensetzte, liegt auf der Hand. Aber egal in welcher Zeit – vor Godesberg, unter den Kanzlern Brandt und Schmidt, nach dem Fall der Mauer: Bis heute beginnt (abgesehen von den eher seltenen politischen Quereinsteigern) im Ortsverein die ,Ochsentour‘, um in der SPD beziehungsweise im Parlament auch mal was zu werden.