Gustav Heinemann
Gustav Walter Heinemann (1899–1976), der Sohn eines Krupp-Direktors, war Vorstandsmitglied der Rheinischen Stahlwerke und nach Kriegsende ein Mitgründer der CDU im Rheinland. Erst in seinem 58. Lebensjahr wurde er Mitglied der SPD und bekam ein Mandat im Bundestag, 1958 auch einen Sitz im Vorstand der Partei. Er war in der damaligen SPD in der Tat eine Ausnahmeerscheinung. Schließlich wurde er 1969 zum ersten Bundespräsidenten aus den Reihen der SPD gewählt.
Bildstrecke (20 Bilder)
Wer war dieser Gustav Heinemann? Aus den ersten Epochen seines Lebens ist festzuhalten: Der brillante Jurist verteidigte als Student die Weimarer Demokratie. Als evangelischer Christ engagierte sich Heinemann im Widerstand der Bekennenden Kirche gegen die NS-Kirchenpolitik. So gehörte er 1945 zu denen, die für den Aufbau eines demokratischen Deutschland gebraucht wurden und diesen zu ihrem persönlichen Anliegen machten. Seit 1945 gehörte Heinemann zum Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und von 1949 bis 1955 war er Präses der Synode.
Audiogalerie (5 Tondokumente)
Heinemann spricht sich 1955 in der Paulskirche gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik aus... (1:07)
Audiorechte: AdsD
...und fordert die Bereitschaft zum Dialog und Vertrauen zwischen Ost und West aufrechtzuerhalten. (0:56)
Audiorechte: AdsD
Heinemann weist 1969 in seiner Antrittsrede als Bundespräsident auf die Widersprüchlichkeiten der Zeit hin... (0:53)
Audiorechte: AdsD
...und welchen Einfluss sie auf den einzelnen Menschen haben. (1:03)
Audiorechte: AdsD
Heinemanns berühmte abschließende Worte zum "Vaterland". (1:06)
Audiorechte: AdsD
Eine erneute politische Aktivität Heinemanns begann 1945 in der CDU, zunächst als Oberbürgermeister im zerstörten Essen, schließlich als Innenminister der Bundesrepublik. Aus Protest gegen Adenauers eigenmächtig betriebene Politik der Wiederaufrüstung verließ Heinemann 1950 das Bundeskabinett, entwickelte eine Gegenposition zur Deutschland- und Verteidigungspolitik Adenauers und organisierte eine „Notgemeinschaft für den Frieden Europas“, die sich 1952 als Gesamtdeutsche Volkspartei konstituierte. Angesichts der Bundestagswahl 1957 wurde beschlossen, diese Partei aufzulösen und einen Übertritt zur SPD zu empfehlen.
Bereits seit 1954 bestanden Kontakte Heinemanns zu führenden Reformern in der SPD, vor allem zu Fritz Erler. Heinemann hatte in einem Aufsatz zwei zentrale Punkte einer SPD-Reform entwickelt: soziale Markwirtschaft statt sozialistische Planwirtschaft und: Toleranz gegenüber Christentum und Kirchen. Als Sozialdemokrat konnte er sich dann an der Ausarbeitung des Godesberger Programms beteiligen. Heinemann ist daher zunächst zu erinnern als ein Initiator der Parteireform von 1957 bis 1959.
Großes Aufsehen erregte Heinemanns erste Rede als Bundestagsabgeordneter am 23. Januar 1958. Es war eine Abrechnung mit der Deutschlandpolitik Adenauers, der hier sogar zum Rücktritt aufgefordert wurde. Das Ende der Ära Adenauer kam in Sicht!
Heinemann griff dann einen Brennpunkt damaliger Politik auf: das Projekt einer Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen. Sein vehementer Aufruf zum Widerstand führte im April 1958 zu der ersten Anti-Atom-Bewegung in der Geschichte der Bundesrepublik.
In den 1950er Jahren war die Deutschlandpolitik das zentrale Thema Heinemanns. 1959 gehörte er noch zu der Kommission, die einen „Deutschlandplan“ zur Wiedervereinigung ausarbeitete. Schon 1958 aber hatte er ein „Amt für innerdeutsche Regelungen“ vorgeschlagen, also einen alternativen Weg der Deutschlandpolitik, der unter Egon Bahr und Willy Brandt zum Berliner Passierschein-Abkommen von 1963 führte – eine kaum noch bekannte Initiative.
Im Kabinett der Großen Koalition hat Heinemann als Justizminister Reformen eingeleitet, die Epoche gemacht haben, unter anderem die rechtliche Gleichstellung von unehelichen Kindern mit den ehelichen, die Abschaffung der Zuchthausstrafe, die Aufhebung einer Verjährung von Mord sowie von NS-Verbrechen. Anlässlich der Oster-Unruhen von 1968 wandte er sich als einziger Minister an die Öffentlichkeit mit einer Ansprache, die bis heute in Erinnerung ist.
Seine Wahl zum Bundespräsidenten im März 1969 hat Heinemann als einen Machtwechsel bezeichnet – ein Vorgriff auf die sozial-liberale Bundesregierung, deren Politik er dann durch eigene Initiativen begleitete, so zum Beispiel sein Anstoß zu einer Friedensforschung und seine Initiative für eine Erinnerungsstätte an Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte in Rastatt.
Mit Gustav Heinemann, dies kann im Rückblick gesagt werden, ist die Sozialdemokratie anders geworden. Heinemann kam 1957 zur SPD in einer kritischen Phase der Partei und wurde zu einer mutmachenden Symbolfigur für einen neuen Zustrom aus bürgerlichen Schichten, die bis dahin der SPD distanziert gegenüberstanden. Dadurch veränderte sich die SPD nicht nur in ihrer sozialen Struktur, sondern auch in ihrer programmatischen Orientierung. Mit Gustav Heinemann beginnt, das wissen wir heute, eine neue Sozialdemokratie, die sich nicht mehr allein als Arbeiterbewegung versteht.