Versöhnen statt spalten: Johannes Rau
Johannes Rau, langjähriger nordrhein-westfälischer Ministerpräsident und deutscher Bundespräsident, ist in der öffentlichen Erinnerung eng verbunden mit seinem Aufruf „Versöhnen statt spalten!“. Das Zitat beschreibt Raus gesamtes Lebenswerk als engagierter Protestant, Parteipolitiker und oberster Repräsentant der Deutschen. In Wuppertal geboren und aufgewachsen in einer vom christlichen Glauben geprägten Familie, kam er während der NS-Herrschaft, unter anderem durch den Theologen Karl Immer, mit der Bekennenden Kirche in Berührung. Beeindruckt von der Haltung und den Äußerungen des ehemaligen CDU-Innenministers Gustav Heinemann wurde Johannes Rau 1952 Mitglied der Gesamtdeutschen Volkspartei. Als deren Vorstand 1957 den Übergang in die SPD vollzog, schloss Rau sich an und wurde bereits ein Jahr später in den nordrhein-westfälischen Landtag gewählt. Nach einem Intermezzo als Wuppertaler Oberbürgermeister 1969/70, das Rau trotz der kurzen Dauer nach eigenem Bekunden sehr am Herzen gelegen hat, wurde er vom NRW-Ministerpräsidenten Heinz Kühn in das neu gegründete Wissenschaftsministerium berufen. Als Kühn 1978 von seinem Amt zurücktrat, wählte der Landtag Johannes Rau zu dessen Nachfolger.
Für fast 20 Jahre prägte Rau maßgeblich die Entwicklung Nordrhein-Westfalens und entwickelte einen eigenen Politikstil. Dass Rau ein Gefühl für Machtsstrukturen hatte, dass er sich mit der richtigen Rede zur richtigen Zeit auch gegenüber Konkurrenten, wie beispielsweise auf dem Duisburger Parteitag 1977 Friedhelm Farthmann, behaupten konnte, steht außer Frage. Es war nicht Führungsschwäche, wenn Rau vor Entscheidungen mehrere Meinungen einholte, vielmehr war es sein Prinzip in der politische Arbeit, Menschen zuzuhören und – falls nötig – an einen Tisch zu bringen, um eine Lösung herbeizuführen. In Worte gefasst wurde das Prinzip anlässlich seiner Kanzlerkandidatur 1986/87, in deren Vorfeld er in der „Ahlener Rede“ den später berühmt gewordenen Leitsatz „Versöhnen statt spalten“ aussprach, der noch stärker als das ebenfalls von ihm geprägte Motto „Wir in NRW“ auch bei den übrigen Parteien Anklang fand. Dank dieser fraktionsüberspannenden Sichtweise wurde er als Brückenbauer zwischen den politischen Lagern geschätzt.
Auch die Bundespartei profitierte von Raus Wirken als Mittler zwischen den Strömungen: Als stellvertretender Bundesvorsitzender begleitete er Bemühungen um die Erneuerung der SPD, ohne deren Tradition aus den Augen zu verlieren. So stand er besonders in Zeiten wechselnder Parteivorsitzender in den 1990er Jahren für Kontinuität.
Nachdem er 1999 zum Bundespräsidenten gewählt worden war, kündigte Johannes Rau an, der Präsident aller in Deutschland lebenden Menschen sein zu wollen, und blieb auch in seinen Berliner Reden dem Prinzip „Versöhnen statt spalten“ treu. Dies bedeutete für ihn nicht, mit der „Soße der Harmonie“ alle Gegensätze zuzukleistern, sondern die notwendige Toleranz aufzubringen, Andersdenkende auszuhalten und über politische und religiöse Gegensätze hinweg einen guten Umgang miteinander zu pflegen.