Wissen ist Macht

Der Zugang zur Bildung stellte für Wilhelm Liebknecht (1826-1900) den Schlüssel zum Erfolg der Arbeiterbewegung dar. Dies bringt sein bekanntes Zitat „Wissen ist Macht“ zum Ausdruck.„Die Sozialdemokratie ist im eminentesten Sinne die Partei der Bildung“. Diese Überzeugung leitete Wilhelm Liebknecht 1872 in seinem Vortrag „Wissen ist Macht – Macht ist Wissen“. Der Text wurde zu einer der großen Programmschriften der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung und blieb bis ins 20. Jahrhundert hinein in vielen Drucken verbreitet. Wer den Menschen die Möglichkeit verweigert, sich zu bilden, hält sie politisch unmündig und beutet sie wirtschaftlich aus. So war es immer, und so ist es immer noch. Dieser Gedanke verkündete das Geschichtspanorama, das Liebknecht entwarf. Der Klassenstaat der Gegenwart verhalte sich nicht anders als die Mächtigen in der Vergangenheit. „Wissen ist Macht, Wissen gibt Macht, und weil es Macht gibt, haben die Wissenden und Mächtigen von jeher das Wissen als ihr Kasten-, ihr Standes-, ihr Klassenmonopol zu bewahren und den Nichtwissenden, den Ohnmächtigen […] vorzuenthalten gesucht“. Wer das ändern will, müsse „die Chinesische Mauer zerstören, die um das Reich der Bildung gezogen ist“.

Liebknechts Bildungsappell war ein Aufruf zum politischen Engagement in der Arbeiterbewegung. „Durch Bildung zur Freiheit“, diese Losung der bürgerlichen Reformer ermahne den Einzelnen, ändere aber nichts. „Nur im freien Volksstaat kann das Volk Bildung erlangen. Nur wenn das Volk sich politische Macht erkämpft, öffnen sich ihm die Pforten des Wissens. Für die Feinde ist das Wissen Macht, für uns ist die Macht Wissen. Ohne Macht kein Wissen!“

Damit zog Wilhelm Liebknecht einen scharfen Trennstrich zu allen Bildungsprogrammen, die auf individuellen Aufstieg durch Bildung zielten. Der Einzelne müsse sich bilden, doch erst „im freien Staat und der freien Gesellschaft“ könne jeder seine Fähigkeiten entfalten. Dieses Leitbild ermöglichte es der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, ein dichtes Netz an Kulturorganisationen aufzubauen, in denen die individuelle Bildungsarbeit in einen kollektiven Reformwillen eingefügt wurde. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg gab es in 791 Orten sozialdemokratische Bildungsausschüsse, die von Bibliotheken über Schulungskurse bis zu Theatervorstellungen vieles anboten, das von den Mitgliedern und auch von ihren Familien intensiv genutzt wurde. Ziel war es jedoch nicht, eine kulturelle Parallelgesellschaft in eigener Organisationsregie aufzubauen. Das breite kulturelle Angebot sollte vielmehr dem Einzelnen Bildungschancen eröffnen und als individueller Vorgriff auf die Zukunft der gesamten Arbeiterklasse dienen.

In der Weimarer Republik wurde dieses Kulturangebot ausgeweitet, doch zugleich begann etwas Neues. „Wissen ist Macht – Macht ist Wissen“, diese Formel taugte jetzt, da Sozialdemokraten Zugang zu den Schalthebeln staatlicher Macht erhielten, nicht mehr in der gleichen Weise wie zuvor als Verdammungsurteil gegen die Mächtigen. Nun hieß die Aufgabe, die eigene politische Macht in verbesserten Zugang zum Wissen für alle umzusetzen. Aus einer Zukunftsvision, die eine Revolutionierung von Staat und Gesellschaft verhieß, musste ein bildungspolitisches Reformprogramm entwickelt werden.