Parteihaus

Wie sich die Zeiten änderten: „[D]ie Parteifahne der örtlichen Gliederung, die Broschüren zum Verkauf, der Vereinsstempel und die Glocke des Versammlungsleiters“ wurden aus dem Parteilokal geschafft und fanden einen neuen Platz – im eigenen Parteihaus, gegen dessen Bau und Etablierung die Kneipenwirte, häufig ja selbst SPD-Mitglieder, verständlicherweise heftig protestierten. Zu verallgemeinern ist diese Entwicklung freilich nicht: Sie setzte dort um die Jahrhundertwende ein, wo die Arbeiterbewegung aus Partei, Gewerkschaften, Genossenschaften, Arbeitervereinen und -zeitungen ein festes Milieu ausbilden und politische (Alltags-)Kulturen prägen konnte. Zumeist wurden die Gewerkschaften zur treibenden Kraft, so in Hamburg bei dem von August Bebel „Waffenschmiede“ der Arbeiterschaft getauften Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof 1906/13.

Beispielhaft für Stärke und Selbstbewusstsein der Arbeiterbewegung war die Stadt Leipzig, wo eine eigens gegründete GmbH ab 1904 die Errichtung des „Volkhauses“ vorantrieb. „Das Volkshaus beherbergte nicht nur die Verwaltungsräume der Gewerkschaften und des ATSB, sondern auch das Arbeiterbildungsinstitut, eine Bibliothek und gastronomische Einrichtungen – Restaurants, Konditorei und Café, Bier- und Weinstube […]. Der Volkshausgarten diente als Freiluftgaststätte [Deutschlands größte der 1920er Jahre] und als Kinderspielplatz. Das Volkshaus versorgte sich fast vollständig selbst. Die Kellerräume beherbergten eine hauseigene Fleischerei, Bäckerei und Wäscherei“, so der Historiker Thomas Adam: Der stolze Bau, „nur wenige hundert Meter vom Neuen Rathaus entfernt, ähnelte diesem in seinem Aussehen und war dem Rathaus hinsichtlich seiner Architektur und Repräsentativität durchaus vergleichbar […]. Während das Neue Rathaus als Symbol der Freiheit und der Leistungsfähigkeit der Leipziger Bürgerschaft fungierte […], sollte das Volkshaus zum Rathaus der Leipziger Arbeiterschaft werden“. Ebenso symbolträchtig baute die Braunschweiger Arbeiterpresse ihr „Volksfreundhaus“ 1913/14 in die Nähe des Welfenschlosses und etablierte auf diese Weise das „Rote Schloss“.

Während der Blüte des sozialistischen Milieus in den 1920er Jahren erlebten auch die Häuser der Arbeiterbewegung ihre besten Zeiten – in den mitteldeutschen Zentren war es zum Beispiel nicht ungewöhnlich, dass sich Sozialdemokraten und Kommunisten nach ihren jeweiligen Veranstaltungen im Haus die Türklinke in die Hand gaben. Erst nach der NS-Diktatur und mit der Auflösung der traditionellen Milieus seit den 1950er Jahre kam es zu Bau und Etablierung eigentlicher Parteihäuser ohne Gewerkschaften, Arbeiterpresse und Vorfeldorganisationen. Von Ort zu Ort sehr verschieden war die Anziehungskraft dieser Häuser: Nicht jedes Kurt-Schumacher-Haus brachte es wie das in Hamburg zum innerparteilich verbindenden „KuSchu“, und nicht jedes x-beliebige Erich-Ollenhauer-Haus der Bundesrepublik wurde wie das Bonner zur, na klar, sozialdemokratischen „Baracke“.