Der Setzer
Der mittlerweile ausgestorbene Beruf des Schriftsetzers ist vielfältig mit der Geschichte der Sozialdemokratie verbunden. Lange galt er als ein Karrieresprungbrett. Philipp Scheidemann oder Paul Löbe arbeiteten zunächst als Setzer, ebenso wichtige Journalisten oder Verleger der SPD wie Johann Heinrich Wilhelm Dietz, aber auch der spätere DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl und der Kommunist Paul Böttcher, 1923 sächsischer Finanzminister. Der Setzerberuf ermöglichte denen, die sich kein Studium leisten konnten, Zugang zu Bildung und Öffentlichkeit. Viele Setzer wechselten zunächst in den Lokal- und Parteijournalismus, dann in die Parteiarbeit und die Parlamente. Die Biosop-Datenbank der SPD-Reichs- und Landtagsabgeordneten macht zwischen 1867 und 1933 immerhin 201 Drucker beziehungsweise 168 Setzer aus. Ebenso belegen regionale Nachschlagewerke, dass zahlreiche Funktionäre und Abgeordnete der mittleren Ebene durch diesen Beruf aufstiegen. Rein quantitativ lässt sich der Mythos des Setzers und Druckers jedoch nicht erklären, da der Anteil anderer Handwerksberufe (wie Tischler oder Maurer) dem des Setzers vergleichbar ist. Entscheidend für die herausgehobene Stellung war vielmehr, dass die Setzer Handarbeit, Agitation und Wissen miteinander verbanden. Ihr Mythos wurde zudem dadurch verstärkt, dass Setzer und Drucker selbst in Zeiten der Illegalität für die SPD warben und mit Flugblättern, Plakaten oder Zeitungen für sozialdemokratische Werte eintraten.
Zudem zählten die Buchdrucker und -setzer zu den ersten Arbeitern, die sich wirkungsmächtig organisierten, wie in der Gewerkschaftsliteratur erinnert wird. Bereits 1848 wurde in Mainz der „Nationale Buchdrucker-Gehilfen-Verband“ gegründet, der für Mindestlohn und 10-Stunden-Tag kämpfte und als erste deutsche Gewerkschaft bezeichnet wird. Nach dessen Verbot organisierten sich die Setzer und Drucker ab 1862 erneut. 1873 konnten sie durch zahlreiche Streiks einen Flächentarif für die Satzherstellung erreichen, und die kooperativen Tarifeinigungen der Buchdrucker seit den 1890er Jahren gelten als „Erfindung der Sozialpartnerschaft“. Noch in der frühen Bundesrepublik war die Stellung der „Industriegewerkschaft Druck und Papier“ bedeutend. Freilich kämpften die Gewerkschaften seit der Jahrhundertwende auch dagegen, dass Frauen das Setzen übernahmen, was nach damaliger Sicht das Ansehen des Berufs und den Lohn gemindert hätte. Der Setzer blieb in der Praxis und in der Erinnerung ein männlicher ‚Held‘.
Auch der Niedergang des Setzerberufs ist mit der Transformation der Sozialdemokratie verbunden. Spätestens in den 1970er Jahren zeichnete sich ab, dass computergestützte Druckverfahren Setzer überflüssig machen werden, was die rund 40.000 Setzer 1975 bis 1978 mit harten Streiks aufzufangen suchten. Zugleich hatte der Beruf für die Sozialdemokraten an Bedeutung verloren, da ihr Spitzenpersonal nun häufig einen akademischen Hintergrund aufwies oder direkt den Sprung in den Journalismus und dann in die Politik geschafft hatte. An die Stelle der Schriftsetzer traten Agenda-Setter. Dass die IG Druck und Papier 1989 in der IG Medien aufging, war symptomatisch dafür. Gerade das Verschwinden der Setzer förderte jedoch die Verklärung des Berufs, wobei die SPD sich heute allenfalls sporadisch an sie erinnert – wie 2006 mit der Ausstellung der Friedrich-Ebert-Stiftung „‚Gott grüß‘ die Kunst!’ Illustrationen und Festschriften der gewerkschaftlich organisierten Drucker, Setzer und Hilfsarbeiterinnen“.