Friedhof der Märzgefallenen
Das Hambacher Schloss und die Frankfurter Paulskirche: vertraute Orte des Erinnerns an die deutsche Demokratiebewegung. Der „Kanonenberg“ im Volkspark Friedrichshain hat zudem als Friedhof der Märzgefallenen eine besondere Bedeutung. Dort oben, auf dem seinerzeit höchsten Punkt Berlins, befindet sich seit 1848 der Friedhof der Märzgefallenen. Die Stadtverordneten wählten diesen Ort bewusst aus: Die Toten der Barrikadenkämpfe vom 18. März sollten auf keinem gemeinen Friedhof beerdigt, sondern als Streiter für Freiheit und Recht gewürdigt, als historische Opfer der Revolution erhöht werden. Nach ihrer Aufbahrung vor 100.000 Menschen auf dem Gendarmenmarkt und dem Trauerzug, vor dem König Friedrich Wilhelm IV. am Schlossplatz ehrerbietig seinen Helm ziehen musste, wurden die 183 Toten am 22. März 1848 im Friedrichshain bestattet; mehr als 250 (heute aber kaum noch original existierende) Grabstätten von Revolutionsopfern fasste der Volkspark zwischenzeitlich.
Der Friedhof der Märzgefallenen und mit ihm der 18. März entwickelte sich schon früh zu einem zentralen „Erinnerungsort“ der Arbeiterbewegung. „Die Besuche an den Gräbern der Revolutionsopfer und die Märzfeiern wurden nicht nur in Berlin von Polizei und Bürgertum als ein politisches Signal verstanden, wem die Revolution von 1848 eigentliche gehöre“, so der Historiker Thomas Mergel. War die feierliche Erinnerung an die Revolution als „Mutter der Arbeiterbewegung“ in den 1850er/60er Jahren trotz vieler behördlicher Verbote im Friedrichshain auch immer wieder spontan gelungen, so setzte im jungen Kaiserreich die Sozialdemokratie neue organisatorische Maßstäbe: „Aber der 18. März änderte seine weihevolle Physiognomie mit dem Erscheinen des Elements der bestehenden Gewalt […]. Mit allerlei Polizeimaßregeln begann das Scharmützel und endete mit Blutvergießen“, berichtete der „Neue Social-Demokrat“ über den Friedhofsbesuch zum 25-jährigen Revolutionsjubiläum 1873. Letztendlich machte die deutsche Arbeiterbewegung den 18. März, der ja zugleich der ‚internationalen‘ Erinnerung an die Pariser Kommune von 1871 diente, zu ihrem Gegenfeiertag des Kaiserreichs – mit Festreden, -gedichten und -vorträgen, Musik und Tanz, Arbeitermarseillaise und roten Fahnen.
Auf dem Friedhof der Märzgefallenen fanden ebenfalls die 33 Todesopfer der Novemberrevolution 1918 ihre letzte Ruhestätte, die dann 1925 das schon zur 50-Jahr-Feier geforderte repräsentative Portal erhielt und deren Grabsteine und -kreuze neu angeordnet wurden. Noch zum 75-jährigen Revolutionsgedenken 1923 hatten die Kranzniederlegungen von Linksliberalen, Sozialdemokraten und Kommunisten auf ungepflegtem, verwuchertem Gelände stattgefunden. Nach NS-Herrschaft und Zweitem Weltkrieg waren abermals Instandsetzungen nötig: Im Vorfeld des 100-jährigen Jubiläums errichtete man einen großen Gedenkstein mit den Namen der Märzgefallenen sowie einer Inschrift für die Revolutionäre von 1848 und 1918 und ersetzte das Portal durch ein schlichtes eisernes Tor. Die Feierlichkeiten 1948 waren erinnerungspolitisch umstritten, weil sich SPD, CDU und die Liberalen auf der einen (westlichen) Seite und SED auf der anderen (östlichen) nicht auf gemeinsames Gedenken einigen konnten.
In die DDR-Geschichtspropaganda integriert dank der Bronzefigur des „Roten Matrosen“ und drei gesonderter Grabplatten für die Novemberrevolutionäre, blieb der Friedhof der Märzgefallenen jahrzehntelang ein unzugänglicher Erinnerungsort der Sozialdemokratie. Umso schöner, dass heute ein nach dem einstigen langjährigen SPD-Vorsitzenden Paul Singer (1890–1909) benannter Berliner Verein engagiert für diese Gedenkstätte der Demokratie eintritt.