Gustav Bauer
Der zweite sozialdemokratische Kanzler in der deutschen Geschichte ist unter den zwölf Amtsinhabern der Weimarer Republik der unbekannteste, vermutlich auch der verkannteste. Die bisher einzige vorhandene Biografie ist ideologisch gefärbt und lässt viele Aspekte unberücksichtigt. War sein Vorgänger Philipp Scheidemann in erster Linie Parlamentarier und sein Nachfolger Hermann Müller ein Mann des Parteiapparats, so war der 1870 geborene Gustav Bauer ein Vertreter der Gewerkschaften.
Sein Aufstieg war mühselig, denn bereits als Jugendlichem musste ihm ein Bein amputiert werden. Trotz dieser schweren Behinderung arbeitete er sich bis zum Bürovorsteher hoch und gründete seine eigene Spartengewerkschaft, den Verband der Büroangestellten. Bauer wurde 1903 Leiter des Zentralarbeitersekretariats in Berlin, wo er seinen Ruf als Sozialexperte festigte. 1908 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden der Generalkommission der Freien Gewerkschaften gewählt, der Nummer zwei hinter Carl Legien. Die Sozialpolitik war auch Bauers Spezialgebiet im Reichstag, dem er ab 1912 angehörte. Im Oktober 1918 trat die SPD in die Regierung des Prinzen Max von Baden ein, in der Gustav Bauer eine doppelte Pionierfunktion übernahm: Als erster sozialdemokratischer Fachminister stand er an der Spitze des neu errichteten Arbeitsministeriums.
Als Scheidemann im Juni 1919 als Regierungschef zurücktrat, weil er den Versailler Vertrag nicht unterzeichnen wollte, wurde Bauer sein Nachfolger. Seinen Karrierehöhepunkt verdankte er seiner Ministertätigkeit, aber auch seiner engen Freundschaft mit Reichspräsident Friedrich Ebert. Bauer scheute sich nicht, die Verantwortung für den heftig umstrittenen Friedensvertrag zu übernehmen. Gerade ihm als Ostpreußen muss die Degradierung seiner Heimat auf einen vom Reichsgebiet abgetrennten Außenposten besonders schwergefallen sein. Verantwortung zu übernehmen, war auch in den Folgejahren das Hauptmerkmal der Politik Bauers. Im März 1920 trat seine Regierung nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch zurück, weil insbesondere Reichswehrminister Gustav Noske die mangelhafte Demokratisierung der Streitkräfte angelastet wurde. 1925 legte Bauer, dem eine Verwicklung in den Barmat-Skandal, vor allem die Annahme von Provisionen, vorgeworfen worden war, sein Reichstagsmandat nieder. Gegen seinen Ausschluss aus der SPD kämpfte er vehement, bis dieser im Mai 1926 aufgehoben wurde. Da eine Rückkehr in die Politik nicht in Frage kam, fungierte er bis 1933 als Geschäftsführer einer Wohnungsbaugenossenschaft. Die in diesem Jahr erhobenen Korruptionsvorwürfe der Nationalsozialisten fielen bald in sich zusammen.
Gustav Bauer lebte während der NS-Zeit sehr zurückgezogen, von Anfang 1940 bis zu seinem Tod im September 1944 in Glienicke/Nordbahn. Der Barmat-Skandal liegt bis heute wie ein Schatten über seiner Biografie. Der äußerst bescheidene Charakter seines Hauses und die Tatsache, dass er als Krankenhauspatient dritter Klasse starb, sind jedoch Indizien, dass er sich nicht persönlich bereichert hatte. Wie sehr Bauer in Vergessenheit geraten war, zeigt symbolisch die Geschichte seines Grabs. Fünfeinhalb Jahrzehnte trug nur eine kleine Emailscheibe seinen Namen. Erst 1999 wurde auf Initiative von Georg Ebert, eines Enkels von Friedrich Ebert, ein kleiner, aber würdiger Grabstein gesetzt.