1848

Mitte des 19. Jahrhunderts spitzten sich aufgestaute politische und soziale Konflikte zu. Unterschichten und Bürgertum erhoben Anspruch auf Verbesserung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage sowie auf politische Mitwirkung. Forderungen nach nationaler Einheit und Selbstbestimmung, nach Verfassungen und darin garantierten bürgerlichen Freiheiten und Rechten sowie nach sozialer Gerechtigkeit waren Kennzeichen der Revolutionen des Jahres 1848, die nahezu alle Länder Europas erschütterten. Das Signal kam aus Paris. Ausgehend von der „Februarrevolution“ folgten im März – vorwiegend in den Metropolen Mittel- und Südeuropas – eine Vielzahl paralleler und sich gegenseitig entfachender, als „Märzrevolutionen“ bezeichnete Aufstände.

Die bald gescheiterten Revolutionen des Jahres 1848/49 gelten als ‚bürgerliche‘ Revolutionen. Sie waren aber auch Revolutionen der Arbeiter, obwohl es – etwa in Deutschland – ein modernes Proletariat, wie es Marx und Engels im Kommunistischen Manifest des Jahres 1848 angesprochen hatten, noch nicht gab. Gleichwohl waren überall Arbeitervereine entstanden, die auch überregionale Aktivitäten entfalteten. Größte Organisation der sich formierenden Arbeiterbewegung war die von Stephan Born gegründete „Arbeiterverbrüderung“. Ziele waren die kollektive Selbsthilfe und Demokratisierung als Grundlage sozialer Reformen. Für Marx und Engels hingegen ging es darum, die politische Revolution mit der sozialen Umwälzung zu verbinden.

Die in der Revolution von 1848/49 entstandenen Organisationen wurden zwar verboten, doch dank personeller Kontinuitäten blieb eine Verbindung zu der ab den 1860er Jahren neu entstehenden Arbeiterbewegung erhalten. Diese war sich ihrer vielfältigen Wurzeln bewusst und verstand die Revolutionsereignisse stets im europäischen Kontext. Seit den 1870er Jahren begann die Sozialdemokratie in jährlichen „Märzfeiern“, sich der Geschichte von 1848 zu erinnern. Mit „März-Zeitungen“, Gedenkveranstaltungen und Besuchen in Berlin bei den – seit 1990 wieder allgemein zugänglichen – Gräbern der „Märzgefallenen“ war der 18. März lange ein Tag des doppelten Gedenkens, weil nicht nur die Berliner Ereignisse auf dieses Datum fielen, sondern auch der Aufstand der Pariser Commune von 1871. Das Gedenken galt den Opfern und den Niederlagen, auch jenen des Juniaufstands in Frankreich, um daraus Lehren zu ziehen. Mit dem Aufbau eines historischen Gegenbilds zur Abwehr von Angriffen aus der bürgerlichen Öffentlichkeit entstand das Bewusstsein, dass die Sozialdemokratie alleinige Erbin von 1848 sei, weil das Bürgertum versagt habe. Die Zuversicht, eine neue – soziale – Revolution zu erleben, schwand allerdings, und die „Märzerinnerungen“ wichen bis zum Ersten Weltkrieg nach und nach dem 1. Mai als dem Tag der Zukunft. Dennoch blieben die Aufstände stets ein Fanal der Hoffnung, so sprach Georg Herwegh zwei Jahre nach der Reichsgründung die Prophezeiung aus: „Noch sind nicht alle Märze vorbei“. 1848 blieb ein Meilenstein der demokratischen Entwicklung, in die die SPD eingebettet ist. Sie versteht sich nicht zuletzt aus diesem Grund als älteste demokratische Partei Deutschlands.